Als Pädagogen kommen wir ja nicht umhin, uns hin und wieder mit neuen Ideen auseinanderzusetzen. Zu vieles läuft nicht rund im System. Unsere Kinder sind gelangweilt, ohne Motivation, gestresst, unter Druck, traurig oder krank. Die Eltern klagen über Leistungsdruck in den Schulen, der den Familienfrieden oft genug stört, über die Bewertung ihrer Kinder innerhalb eines Notensystems, das doch im Grunde nichts über den Wert ihrer Kinder auszusagen vermag, über unmotivierte und ungerechte LehrerInnen und tausenderlei mehr. Und das Lehrpersonal? Das steht mittendrin, sitzt zwischen allen Stühlen und befindet sich oft genug am Rande des Burnout, weil es all die mannigfaltigen Bedürfnisse der Menschen, mit denen es in Kontakt kommt, nicht befriedigen kann und von den eigenen gar nicht sprechen darf. Die Seiten stehen sich diametral und oft genug feindlich gegenüber. Es tobt ein Kampf zwischen allen an der Bildung der nachkommenden Generationen vermeintlich Verantwortlichen. Am Ende sind alle Beteiligten eines – unglücklich. Weil sich das aber wenig gut anfühlt und unglückliche Menschen nicht besonders produktiv sind, musste man sich eine Lösung überlegen. Und was tut man als Pädagoge, Psychologe, Sozialarbeiter oder Elternteil? Na klar, man beschließt, dass man, um das Unglücklichsein ein für alle Mal für alle zu beenden, ein neues Schulfach einführt. Und Heureka, willkommen im Unterrichtsfach Glück.
Mittlerweile ist das Fach Glück durchaus schon etabliert. Als Lehrkraft kann man vielfältige Fortbildungen buchen. Und wer noch zögert, das Ganze vielleicht doch als Zeitverschwendung sieht, findet Hinweise in den einschlägigen Forschungen namhafter Autoren der Psychologie, den Neurowissenschaften und den Erziehungswissenschaften, die einen positiven Effekt auf Kinder, Lehrer und Eltern, also im Grunde auf die Gesamtgesellschaft, beweisen.
All dies stelle ich gar nicht in Zweifel, wenn ich mich hier mit der Frage auseinandersetze, ob das Fach Glück eine sinnvolle Erweiterung des Fächerkanons sein kann. Viele der einschlägigen Autoren habe ich selbst gelesen, oder schon Fortbildungen bei ihnen besucht. Ja, ich bin ein Fan das Glücks, denn auch ich habe gesehen, dass Glücklichsein sehr förderlich für die Gesundheit ist und daher beschlossen, genau dies zu sein – glücklich.
Und dennoch habe ich ein großes ABER, wenn ich daran denke, Glück als Fach im Schulbetrieb zu etablieren. Ein noch kleiner Mensch an meiner Schule ist gar der Meinung, dass Glück nicht unterrichtet werden kann, denn es sei etwas, dass man in der Seele habe. Beim Unterrichten würde am Ende nichts dabei heraus kommen. Ich fand diese Aussage sehr aufschlussreich, sehe ich dies doch ziemlich ähnlich, wenngleich auch etwas differenzierter. Und ich werde mich bemühen, meine Vorbehalte gegen ein Fach Glück an Schulen zu formulieren.
Wenn wir über Schulfächer reden, dann ist eines klar. Es muss einen Plan geben. Diese Pläne werden meist von Erwachsenen erstellt. Auf Grundlage von Erkenntnissen aus dem Fachbereich und/oder entwicklungspsychologischen Erkenntnissen, werden die Inhalte von Schulfächern zusammengestellt, und in kindgerechte Stücke gebracht. Es wird überlegt, wie der zu übermittelnde Stoff an die Lerner kommen kann, welche Methoden und Sozialformen sich jeweils anbieten. Fachwissenschaft, Pädagogik und Didaktik arbeiten eng zusammen. Am Ende steht ein Ziel, dass in einem jeweiligen Fach erreicht werden soll. Alles schön und gut in klassischen Fächern wie Mathematik, Deutsch, Physik, Französisch und dergleichen, wenn auch hier durchaus diskutierbar. Schwieriger wird es schon in Fächern wie Ethik, Kunst oder Musik, in denen ganz andere Fragen als pure Wissensvermittlung im Vordergrund stehen sollten, will man dem Gegenstand an sich wirklich gerecht werden. Doch ja, vorstellbar sind Ziele in diesen Fächern noch. Immerhin ist die Ethik der Bereich, in dem wir darüber nachdenken, wie gutes Leben gelingen kann – dabei dennoch nur ein Teilaspekt des größeren Fragenbereich der Philosophie, und kommt meiner Meinung nach, am Ende nirgends wirklich an, wenn andere Fragen nicht beantwortet werden. Kunst und Musik lassen sich zwar trefflich in Form von Schulunterricht unterrichten, wenn wir Musiker, Künstler und Richtungen in den Künsten betrachten und lernen lassen. Auch Techniken und Instrumente können wir im Rahmen von Schule lehren und lernen (lassen). Doch was Kunst und Musik im Grunde wirklich ist, wie es sich für den Einzelnen anfühlt und was es jedem bedeutet, das ist nicht unterrichtbar. Oder gibt es ein falsches Gefühl für Musik, eine falsche Empfindung für Schönheit in der Kunst? Manche mögen sagen, ja, ich aber denke, dass diese Bereiche menschlicher Wahrnehmung so individuell sind, dass es nicht möglich ist, von richtig oder falsch, gut oder schlecht zu sprechen, wenn wir uns künstlerisch ausdrücken. Auch die Zugänge sind so einmalig wie Sandkörner am Meer oder die Farbwahrnehmung des Mitmenschen, die mit der eigenen noch nicht einmal verglichen werden kann, da uns dazu die Parameter des Vergleichs fehlen. Wer weiß schon, wie die Farbe Grün von Luna wahrgenommen wird und ob sie mit der von Sebastian vergleichbar ist? Oder wie sich ein eingestrichenes C für Phoeby anfühlt, und ob Marlena dies genauso empfindet? Nicht jeder wird von der Wagner Oper mitgerissen oder empfindet einen unbändigen Drang zu Slipknot in trancartiges Headbanging zu verfallen. Wenn dies schon auf unsere musischen und philosophischen Fächer, die seit langem etabliert sind, zutrifft, wie schwer wird dies in einem Unterrichtsfach namens Glück erst sein?
Eine gute Bekannte hat in diesem Jahr nun ihre Erfahrungen damit machen dürfen. Und, statt am Ende des Schuljahres glücklich zu sein mit ihrem Fach Glück, hatten wir ein langes Gespräch, in welchem sie mir doch nur ihr Unglück klagte. Damit an dieser Stelle wirklich deutlich wird, was es in einem aufoktroyierten System bedeutet, Glück zu unterrichten, möchte ich die Essenz dieses Gespräches zusammenfassen, sodass am Ende verständlich werden möge, warum ich ganz entschieden dagegen bin, das Fach Glück im Rahmen von Schule und Unterricht flächendeckend einzuführen.
Als meine Bekannte zu Anfang des Schuljahres die Möglichkeit bekam, das Fach Glück zu unterrichten, war ihre Begeisterung kaum zu bremsen. Sie sprühte förmlich vor Ideen, was sie den Kindern zeigen möchte und wie sich die Kinder dieser Sinnesempfindung nähern könnten. Ein wenig beneidete ich sie, auch wenn ich ein etwas mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache hatte. Nun war das Schuljahr zu Ende und meine Freundin meldete sich mit schwerem Herzen, um mir mitzuteilen, dass der Glückskurs im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht mehr stattfinden würde, da es zu wenig Anmeldungen dafür gäbe. Dabei wären nicht die Eltern das Problem, sondern die Kinder. Diese hätten meist mit wenig Elan und Begeisterung sich auf das Projekt Glück eingelassen. Ich fragte sie natürlich neugierig, was sie denn so gemacht hatte. Nun, natürlich versuchte sie immer über das Bedürfnis der Kinder zu gehen. So war es ihr immer wichtig, wie sich die Kinder zu Beginn der Stunde fühlten, und was sie denn nun gerne machen wollten, egal was sie für die Treffen vorbereitet hatte. Und ihre Aktivitäten klangen durchaus spannend. Doch die Antworten der Kinder gingen in andere Richtungen: Ich würde gern mit meiner Freundin chatten, spielen, rumhängen… Ich würde jetzt gern mein Computerspiel zocken…. Am liebsten würde ich jetzt ins Schwimmbad, Rodeln, Fußball spielen gehen… Auffällig war, dass die Kinder alles lieber gemacht hätten, als gemeinsam in einem Glückkurs zu sitzen. Viel lieber als sich durch die Initiative eines Erwachsenen damit auseinanderzusetzten, was sie glücklich macht, hätten sie gerne getan, was sie in diesem Augenblick glücklich gemacht hätte. Und genau das ist der springende Punkt. Es reicht nicht, sich darüber auszutauschen, was Glück für einen bedeutet, wenn man im gleichen Augenblick nicht genau das tun darf, was glücklich machen würde. In dem Augenblick in dem Glück zum Schulfach wird, sind Kinder dem (Teilnahme-)Zwang unterworfen. Und wer würde schon sagen, dass einen der Zwang glücklich macht? Die Erwachsenen haben mit diesem Umstand keinerlei Probleme mehr. Sie sind schon mit so wenig glücklich zu machen. Sie glauben, wenn man der Idee des Glücks im Zusammenhang mit Schule endlich Raum gibt, dann ist es genug. Sie beachten dabei aber nicht, dass Glück eben nicht für jeden in einem Klassenraum (oder einem anderen schulischen Raum) erzwungen werden kann. Nach dem Motto: Wir sind jetzt mal alle glücklich. Als könne es sowas überhaupt geben: Einen Zwang zum Glücklichsein. Ähnlich geht es mir mit der Veranstaltung Fasching (bzw. Karneval) – Wir sind jetzt mal alle auf Kommando des Datums gut drauf und feiern bis wir nicht mehr können, egal ob uns danach ist oder nicht. Was hätten die Romantiker dazu gesagt, deren kreative Energie häufig aus einem Zustand der Melancholie rührte? Menschen haben so viele unterschiedliche Empfindungszustände – Glück, Trauer, Wut, Ärger, Liebe, etc. – und jeder einzelne kann eine Quelle dessen sein, was William Wordsworth 1800 im Vorwort zur zweiten Auflage der Lyrical Ballads schrieb: „Poetry is the spontaneous overflow of powerful feelings" that "takes its origin from emotion, recollected in tranquillity.“ Mehrere Dinge werden für mich in diesem Zitat deutlich. Es gibt mehr als ein mächtiges Gefühl, das spontan überfließen kann. Gefühle und Emotionen sind nicht das gleiche. Und Emotionen werden in der Stille, der Einsamkeit, erst bewusst. Damit schließt sich für mich ein geplanter Unterricht von Lehrer zu Schüler in einem Fach Glück aus. Glück kann eben nicht in einem Unterrichtsfach, egal wie toll dieses organisiert ist, gelehrt werden, denn es kann in diesem Sinne dort nicht erfahren werden, wenn es nicht gelebt werden darf. Und was gelebtes Glück ist, das muss jeder Mensch, auch Kinder, die wohl noch am meisten Mensch sind, für sich jeweils erspüren und erfahren. Sicher sind manche Momente des Glücks für die menschliche Erfahrung deckungsgleich, doch was jeden und jede von uns jeweils glücklich macht, das ist so verschieden, wie wir als Menschen eben auch sind. Im Rahmen Schule, und noch schlimmer, im Rahmen eines Faches, bewertet oder unbewertet, ist dies wahrscheinlich für die allerwenigsten möglich. Auch meine Freundin hat das schmerzlich erfahren. Und wenn ich ihr zwar von Herzen wünsche, dass der Kurs im nächsten Jahr wieder stattfinden kann, so fürchte ich doch, dass sie am Ende mit dem gleichen Ergebnis herausgehen wird. Die Definition von Wahnsinn – immer das selbe zu tun, und ein anderes Ergebnis zu erwarten. Übrigens ist dies ein Faktum, das nicht nur für ein Fach Glück im Kontext Schule gilt, sondern allgemein für den Zwang einer staatlich kontrollierten Bildung, die allen das Gleiche zum selben Zeitpunkt aufdrückt, ob der Mensch will oder nicht.
Es gibt einen weiterer Aspekt, der es für mich sehr schwer macht, mich dem Konzept Glück im Unterricht zu nähern. Nicht dass es ausgeschlossen wäre, doch merklich erschwert in einem Setting, das prinzipiell unter Zeit- und Bewertungsdruck steht. Diesmal erzähle ich aus meinem eigenen Unterricht, in dem ich die These aufstellte, dass es einen Unterschied zwischen Fun und Happiness gebe. Die Überlegung entstand im Englischunterricht in Verbindung mit der Lektüre des Buches Speak von Laurie Halse Anderson. Wir lasen eine Stelle, in dem der Charakter Mr. Freeman (Kunstlehrer) über das Fach Kunst und den Zusammenhang mit dem Ausdruck der Seele spricht: This is where you can find your soul, if you dare. Where you can touch that part of you that you’ve never dared look at before. Do not come here and ask me to show you how to draw a face. Ask me to help you find the wind. Und weiter spricht er sich dafür aus, dass nur die Kunst das Innere eines Menschen wirklich berühren kann und damit Glück erzeugt. Ich stellte daraufhin fest, dass es offensichtlich einen Unterschied zwischen Glück oder auch Happiness und Spaß /Fun geben müsse und stellte den Schülern die Aufgabe, sich auf einer DIN-A 4 Seite zu Hause damit auseinanderzusetzten. Dabei sei es mir nicht wichtig, zu welchem Schluss sie am Ende kämen, nur die Beschäftigung mit der Fragestellung sei mir wichtig. Auch ich musste an dieser Stelle erfahren, dass man gerade im schulischen Kontext niemanden zu seinem Glück, noch nicht mal zur Auseinandersetzung damit, zwingen kann. Deshalb hatte ich auch nicht damit gerechnet, dass ich viel Rücklauf an schriftlichen Arbeiten bekommen würde. Und so war es auch. Von 20 Kindern bekam ich 8 schriftliche Texte zurück. Die Quantität unterschied sich immens. Die meisten Texte kamen von jenen, die um eine schlechte Note fürchteten, und umfassten wenigstens ein paar Zeilen als Alibi. Aber egal, darum ging es mir ja tatsächlich nicht. Mit Spannung las ich alle Texte. 3 Jugendliche hatten sich ernsthaft mit der Thematik auseinandergesetzt und kamen zum Schluss, dass Spaß und Glück tatsächlich etwas unterschiedliches waren. Sie beschrieben, dass Spaß etwas ist, dass sehr vergänglich sei und man nach einem spaßigen Moment schon wieder auf der Suche nach dem nächsten sei, da diese Momente nie von Dauer wären, während sie Glück als etwas erlebten, dass, auch wenn der Moment verstrichen sei, irgendwie im Inneren bliebe. Ich erinnere mich besonders an eine Schülerarbeit, weil sie die vorgeschlagene Seite weit überschritt. Detailliert hatte sich dieser junge Mensch mit der Frage auseinandergesetzt und zu seinen Überlegungen Zitate hinzugefügt, die in bei einer umfangreichen Recherche gefunden hatte, wie er mir später erzählte. Ich denke mittlerweile, er tat dies nicht, weil er eine tolle Bewertung erwartete, sondern weil die Beschäftigung mit der Aufgabe ihn zutiefst befriedigte, ihn glücklich machte. Und ich freue mich heute noch daran. Noch heute zaubert mir der Gedanke daran, wie dieser Schüler diese Aufgabe am Ende für sich löste, ein glückliches Lächeln ins Gesicht. Doch ist es mir auch klar, dass diese Fragestellung an den meisten Kindern dieser Klasse vorbeiging. Ich konnte sie nicht zwingen, sich damit auseinanderzusetzen. Im Rahmen von Schule, die doch oft nur an einer Leistungsbewertung interessiert ist, ist dies nicht möglich, wenn es nicht das Bedürfnis des Einzelnen in diesem Augenblick berührt, oder das Kind sich eben nicht an diesem Ort und zu dieser Zeit und mit der ihm vorgesetzten Person berühren lassen möchte – aus welchem Grund auch immer.
Das Empfinden von Glück ist somit immer subjektiv und einfach nicht per Schulunterricht zu vermitteln. Höchstens jenen, die im Schulunterricht selbst per Zustimmung glücklich sind. Und das dürften die wenigsten sein. Als Schulfach schließt sich die Glückserfahrung demnach für den Großteil aller Schüler aus, wenn es denn zwang- und regelhaft, wie es an Schulen üblich ist, vorgegeben wird. Haben wir die Zustimmung eines Schülers, ist Glück als Fach obsolet, denn unter der Zustimmung eines Schülers kann alles Glücksunterricht sein, eben auch Mathematik oder eine Gedichtinterpretation.